Das Zufallsopfer: Hermann von Holtzendorff

1848 gab es in Berlin 1.518 Studenten. Die Universität der Stadt war erst 20 Jahre zuvor gegründet worden und gehörte zu den größten im deutschsprachigen Raum. Studieren durften nur Männer. Sie waren zwischen 18 und 25 Jahren alt. Zu ihnen gehörte der 22-jährige Jurastudent Hermann von Holtzendorff.

Geboren worden war Hermann im brandenburgischen Jagow. Sein Vater besaß dort ein Rittergut. Die Familie von Holtzendorff verwaltete insgesamt drei eigene Rittergüter und lebte von der Bewirtschaftung dieser Ländereien. Hermanns Familie ging es also finanziell sehr gut. Das war unter den Berliner Studenten nichts besonderes. Die meisten von ihnen kamen aus guten bis sehr guten Verhältnissen. Viele von ihnen waren politisch interessiert, durften aber nicht wählen, denn das Wahlalter lag bei 25 Jahren. Über Hermanns politische Interessen wissen wir nichts.

Hermann wohnte in unmittelbarer Nähe der Universität, in der Mittelstraße 62. Zu seinen Vorlesungen hatte er es nicht weit. Auch familiär war Hermann mit der Universität verbunden: Sein Großvater war dort Professor für Physik. Auch sein Onkel war Physiker und leitete als Direktor das Köllnische Realgymnasium. Diese Schule befand sich im alten Rathausgebäude, in dem Hermanns Onkel, Professor August, auch wohnte. Als am 18. März ganz in der Nähe des Gebäudes, in der Breiten Straße, Barrikadenkämpfe ausbrachen, machte Hermann sich wohl Sorgen um seinen Onkel und eilte zu ihm. Wenig später stürmten Soldaten das Gebäude und nahmen alle anwesenden Männer in Gewahrsam. Sie sollten zum Schloss gebracht werden, um dort festzustellen, ob sich Revolutionäre unter ihnen befanden, die sich an den Barrikadenkämpfen beteiligt hatten. Auch Hermann und sein Onkel wurden abgeführt.

Die Soldaten kamen nicht aus Berlin und kannten sich in der Stadt nicht aus. Sie schlugen aus Versehen den falschen Weg ein und gerieten an eine weitere Barrikade. Die Menschen dort forderten die Soldaten auf, Hermann sofort freizulassen. Sie dachten, er gehöre zu ihnen. Über das, was dann geschah, gibt es verschiedene Berichte. Möglicherweise ließ einer der Soldaten Hermann tatsächlich los. Jedenfalls schoss ein anderer auf ihn, um eine Flucht zu verhindern. Hermann von Holtzendorff starb am nächsten Tag an seiner Schussverletzung. Er wurde am 22. März auf dem Friedhof der Märzgefallenen beigesetzt. Sein Onkel sprach von Hermann als „Opfer soldatischer Wut“. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen