Der entsetzte Beobachter: Karl Friedrich Julius Riese

Karl Friedrich Julius Riese wuchs als Sohn eines preußischen Regierungsbeamten in Marienwerder (heute Kwidzyn/Polen) auf, studierte zunächst Jura, dann Medizin und ließ sich schließlich als praktischer Arzt am Potsdamer Platz nieder. Als Mediziner muss er sehr beliebt gewesen sein, denn im Volksmund hieß er „der Engel vom Potsdamer Platz“. Im Alter von 35 Jahren heiratete Julius die18jährige Tochter eines Predigers aus Luckenwalde. Mit ihr hatte er elf Kinder, von denen zwei Söhne ebenfalls Ärzte wurden.

Am 18. März 1848 wurde Julius Zeuge der revolutionären Ereignisse in Berlin und berichtete noch in der Nacht davon seinen Eltern in einem (im Berliner Stadtmuseum aufbewahrten) Brief: Gegen 2 Uhr Mittags hatte er erfahren, dass König Friedrich-Wilhelm unbeliebte Minister gegen – wie er schrieb – „beste Vertreter des Volkes“ austauschen ließ. Aus Begeisterung eilte er in seinem Wagen unverzüglich wie tausende andere zum Schlossplatz: „Mir traten die Thränen der Freude in die Augen, dass der König noch eben grade zur rechten und höchsten Zeit die Wünsche seines Volkes befriedigt hatte, wir umarmten uns und sprachen Segenswünsche für unser deutsches Vaterland aus.“ Der König trat mehrmals auf den Balkon und dankte. Julius stand nur wenige Meter entfernt von einigen Dragonern (berittene Infanterie), die sich zurückzogen, dann aber unversehens „kehrt machten, im Galopp vorsprengten und auf die unbewaffneten Massen einhieben. Bald fielen auch ein paar Schüsse. … Alles stob nun in verzweifelter Wuth auseinander — wir sind verrathen hörte ich von mehreren Seiten rufen, wir sind unsers Lebens nicht mehr sicher, hergekommen um hier unsere Freude dem König auszudrücken, werden wir niedergehauen — Waffen, Waffen, jetzt ist keine andere Rettung mehr.“ Julius Riese rettete sich zu seinem Wagen: „Ich kam eben noch glücklich aus der Stadt, und entging dem Schicksal, dass mein Wagen zu einer Barrikade benutzt wurde dadurch, dass mir in der Nähe einer Straßenecke mehrere Leute zuriefen, ich möchte schnell umkehren, sonst würfen die Leute mir den Wagen um. An dieser Ecke lagen schon zwei Wagen umgestürzt vor mir, und man machte an allen Straßenecken Barrikaden.“

Zuhause angekommen setzt er sich an den Brief an die Eltern: „Die Kanonen und das Peleton Feuer des Militairs und der Knall der Büchsen der Bürger dröhnen fortwährend durch die Luft in dieser grausig hellen Mondnacht — die Stadt ist vollgefüllt von Leichen und Verwundeten. Offener verzweifelter Kampf zwischen dem Militair und den Bewohnern der Hauptstadt wüthet seit jetzt bald 14 Stunden ununterbrochen fort … Ich bin überzeugt, dass wenn das Militair nicht erschienen wäre, die ganze Stadt am gestrigen Tage voller Jubel und die ganze Nacht hindurch illuminiert gewesen wäre.“

Politisch ist Julius Riese weder vor noch nach dem 18. März in Erscheinung getreten. Seine Sichtweise kann als die eines liberal-konservativen Berliner Bürgers gedeutet werden, der das Entgegenkommen des Königs als Erfüllung seiner „kühnsten Wünsche“ begreift, weitergehende Forderungen jedoch ablehnt und die Gewaltanwendung vehement verurteilt. Julius Riese starb am 8. 7.1879 als Geheimer Sanitätsrat in seinem Haus in der Linkstr. 42 am Potsdamer Platz.