Die Spionin: Lucie Lenz

Über Lucie Lenz gibt es viele Geschichten. Welche davon wahr sind und welche nicht, lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen. Lucie erfand sich selbst ständig neu. Insgesamt lebte sie unter sechs verschiedenen Nachnamen und vier Vornamen, die sie unterschiedlich miteinander kombinierte. Mal nannte sie sich zum Beispiel Louise Lorenz, mal Helene von Kröcher. Wahrscheinlich wurde sie als Luitgard Lorenz in der Nähe von Wittstock in der brandenburgischen Prignitz geboren. Der Berliner Öffentlichkeit wurde sie Anfang Juni 1848 als Lucie Lenz bekannt.

Am 4. Juni übergab Lucie Lenz im Namen der demokratisch gesinnten Frauen in Berlin einigen bekannten Demokraten eine gestickte Fahne in den Revolutionsfarben Schwarz, Rot und Gold. Dazu hielt sie eine kurze Rede. „Der Eindruck, den diese ergreifende Stimme des Mädchens auf die Umstehenden machte, ist unbeschreiblich“, wurde darüber später in einer Zeitung berichtet. Dass sich Frauen in der Öffentlichkeit politisch äußerten, war ein ungewohntes Bild in Preußen. Die Rolle der Frau sollte auf den Haushalt beschränkt bleiben. Dennoch nahm Lucie dann mit einigen anderen Frauen an der Demonstration zu Ehren der Märzgefallenen teil, bei der die von ihr überreichte Fahne zum Einsatz kam. Eine Woche später, beim Sturm auf das Berliner Zeughaus, war sie wieder dabei – diesmal in Männerkleidung. Sie trat in den folgenden Monaten immer wieder als Sprecherin der demokratischen Frauen auf.

Anfang Dezember 1848 wurde Lucie Lenz aus Berlin ausgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger, aber nicht verheiratet. Das war ein Problem, denn Bürgerrechte standen nur Männern zu. Wenn einer erwachsenen Frau kein Ehemann und einem Kind kein Vater zugeordnet werden konnte, standen die beiden gewissermaßen außerhalb der Gesellschaft. Doch Lucie gelang es, in Köln ein neues Leben als adelige Witwe zu beginnen. Wahrscheinlich halfen ihr ausgerechnet die preußischen Behörden dabei, gefälschte Papiere zu bekommen, denn Lucie war in den Monaten zuvor für sie als Spionin tätig gewesen. Ob sie von der Polizei zur Spionage gezwungen worden war oder freiwillig Informationen über die Revolutionäre angeboten hatte, ist nicht bekannt.

Nach 1848 wohnte Lucie mit ihren zwei Kindern an wechselnden Orten in ganz Europa. Immer wieder hatte sie Probleme mit den örtlichen Behörden. Häufig wurde gegen sie ermittelt, weil Zweifel an ihrer Identität aufkamen. Doch immer dann, wenn die Untersuchungen die höheren preußischen Behörden erreichten, wurden sie plötzlich eingestellt.