Die Unterschätzte: Ana Ipătescu

Die Geschichte der rumänischen Revolution von 1848 ist vor allem eine Geschichte über Männer. Sie hatten damals mehr Möglichkeiten, sich politisch und gesellschaftlich einzubringen. Aber auch viele Frauen waren am Kampf für ein unabhängiges Rumänien beteiligt. Ihre Namen sind heute weniger bekannt. Eine von ihnen war Ana.

Ana wuchs in Bukarest auf. Sie wollte gerne zur Schule gehen, aber ihre Stiefmutter war dagegen. Öffentliche Schulen für Mädchen gab es in Bukarest nicht. Frauen sollten keinen Beruf erlernen. Sie sollten heiraten und sich um ihren Ehemann, die Kinder und den Haushalt kümmern. Ab 12 Jahren durften Mädchen verheiratet werden. Ana wollte aber mehr aus ihrem Leben machen. Am Ende setzte sie sich durch: Sie durfte eine Privatschule für Mädchen besuchen. Das war zwar teuer, aber ihr Vater hatte genug Geld.

Mit 27 Jahren heiratete Ana. Es war ihre zweite Ehe. Erst ein Jahr zuvor hatte sie sich von ihrem ersten Mann scheiden lassen. Der war nur an dem Vermögen ihres Vaters interessiert gewesen. Mit Nicolae Ipătescu hatte Ana mehr Glück. Er war Beamter und arbeitete beim Finanzministerium. Ana nahm seinen Nachnamen an. Von nun an hieß sie Ana Ipătescu. Mit diesem Namen sollte sie in die rumänische Geschichte eingehen. Nicolae war dafür mitverantwortlich: Er begann bald, sie zu Treffen der Frăţia, der Bruderschaft, mitzunehmen. Die Bruderschaft war eine Geheimorganisation. Sie plante die Revolution. Ihr Ziel war ein vereinigtes, unabhängiges Rumänien.

Fünf Jahre nach der Gründung der Bruderschaft, im Frühjahr 1848, brach die Revolution aus. Es wurde eine neue Regierung gebildet. Sie bestand aus Mitgliedern der Bruderschaft. Aber noch war der Erfolg nicht sicher. Am 19. Juni wurde die neue Regierung im Königspalast eingesperrt. Die alten Herrscher wollten die Revolution ungeschehen machen. Die Menschen waren verzweifelt. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass die Revolution noch zu retten sein könnte. Aber dann kam Ana: Sie sprach der Menge Mut zu. Um den Hals trug sie einen Schal in den rumänischen Nationalfarben Blau, Gelb und Rot. Sie stürmte voran und die Menschen folgten ihr in den Königspalast. Gemeinsam befreiten sie die Gefangenen. In den nächsten Tagen feierten viele internationale Zeitungen die „Heldin“, die die rumänische Revolution gerettet hatte. Manche Medien behaupteten aber auch, Ana wäre in einen der Revolutionäre verliebt. Anders konnten sie sich wohl nicht erklären, dass eine Frau so viel Mut und Entschlossenheit gezeigt hatte.