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Revolution 1848

Überall in Europa forderten Demokratiebewegungen einen Nationalstaat. Das Bild zeigt die Proklamation des serbischen Autonomiegebiets Vojvodina im Mai 1848.

Nationalstaat

In Zeiten übernationaler Zusammenschlüsse wie der Europäischen Union, glauben viele an ein absehbares Ende der Nationalstaaten. Millionen von Menschen fühlen sich längst in einem Europa ohne Grenzen zuhause. Im 19. Jahrhundert wurde der Nationalstaat aber von vielen Menschen in Europa erst noch erstrebt. Er galt als Gegenstück der feudalen Fürstenstaaten vorangegangener Jahrhunderte, sollte der Nationalstaat schließlich per Verfassung Grund- und Freiheitsrechte der Bürger:innen gegenüber den Herrschenden garantieren.

Die ersten Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts – beispielsweise Frankreich und Großbritannien – zeichneten sich durch relative sprachliche, ethnische und kulturelle Homogenität, eine Verfassung sowie zentrale politische Institutionen aus. Eine solche Nationalstaatsidee wurde aber auch von anderen erstrebt und im 19. Jahrhundert mitunter hart erkämpft. So löste sich 1830 Belgien von den Niederlanden los und im selben Jahr endete auch der Unabhängigkeitskampf Griechenlands vom Osmanischen Reich. 1848 träumten aber immer noch viele Menschen von eigenen Nationalstaaten: Italien, Polen, Ungarn, Rumänien, Deutschland oder auch ein tschechischer Nationalstaat waren beispielsweise noch immer bloße politische Wunschvorstellungen. Beflügelt von der erfolgreichen Revolution, die in Frankreich im Februar 1848 stattgefunden hatte, wurden nun überall in Europa Forderungen nach nationaler Eigenständigkeit lauter. Die Ausgangslage der einzelnen nationalstaatlichen Bewegungen war jedoch grundverschieden.

Rangen in der multiethnischen Habsburgermonarchie Tschech:innen, Ungar:innen, Kroat:innen, Slowak:innen, Pol:innen, Ruthen:innen (Ukrainer:innen), Rumän:innen und Italiener:innen mitunter auch zunächst erfolgreich für mehr Autonomie vom Vielvölkerreich, so war die Lage für ein unabhängiges Polen bedeutend schwieriger. Pol:innen lebten sowohl im von den Habsburgern regierten Kaisertum Österreich als auch im Russischen Zarenreich sowie in Preußen. Diese räumliche Trennung sowie das entschiedene Vorgehen der drei Großmächte erschwerte den Kampf für die Wiederherstellung des polnischen Staates, welcher ein halbes Jahrhundert zuvor aufgeteilt worden war.

Etwas anders war es um die Nationalstaatsidee Italiens bestellt. Neben den nördlichen Gebieten, welche zur Habsburgermonarchie gehörten, war der Rest Italiens in mehrere Staaten zersplittert. Die italienischen Fürsten und der Papst hatten unterschiedliche Haltungen zur Idee eines geeinten Italiens, befürchteten sie dadurch immer auch den Verlust ihrer eignen Macht. Ähnlich wie die Habsburger in Venetien und der Lombardei, gingen auch sie eher gegen die Einigungsbewegung vor als sie zu unterstützen. Auch Papst Pius IX., der sich mit seinen relativ liberalen Reformen seit 1846 zu einer Symbolfigur der italienischen Einigungsbewegung geworden war, wendete sich 1848 zunehmend von der Revolution und dem Einheitsgedanken ab.

Auch die Deutschen waren auf zahlreiche kleinere und größere Staaten verteilt, welche nur relativ locker im Deutschen Bund zusammengeschlossen waren. Deutschland bzw. ein Nationalstaat mit Verfassung war dieser Bund noch nicht und jede Tendenz dazu wurde von den beiden Großmächten im Bund, Preußen und Österreich, bis dahin unterdrückt. Im Frühjahr 1848 war diese Situation jedoch unhaltbar geworden. Zu groß war der Wunsch nach einem geeinten deutschen Staat, der durch die Ereignisse in den europäischen Nachbarstaaten nur noch bestärkt wurde. Die deutschen Fürsten lenkten deshalb zunächst ein und duldeten, dass in Frankfurt am Main sogar eine Nationalversammlung zusammentreten konnte, um eine gesamtdeutsche Verfassung zu erarbeiten. Die Verwirklichung der Idee eines Nationalstaates schien hier auf parlamentarischem Weg zum Greifen nah. Dennoch scheiterte sie 1849 am Widerstand der Fürsten, welche die Verfassung schlussendlich nicht umzusetzen bereit waren. Allen voran lehnte es der preußische König ab, die deutsche Kaiserwürde von einer Volksvertretung verliehen zu bekommen.

Den anfänglichen Erfolgen der revolutionären Bewegungen zum Trotz, gelang es bis 1849 an kaum einem Brandherd dieser europäischen Revolution langfristig einen neuen Nationalstaat zu etablieren. Im Deutschen Bund wurde die Nationalversammlung aufgelöst und der Widerstand dagegen vom preußischen Militär erstickt. Auch in der Habsburgermonarchie setzte sich letztlich das kaiserliche Militär durch, was auch durch die zunehmend widerstrebenden Ziele der einzelnen Nationalitäten begünstigt wurde.

Hier zeigt sich auch die Schattenseite der nationalstaatlichen Forderung der Revolution von 1848/49. Europaweit hatten sich die nationalen Einigungs- und Unabhängigkeitsbewegungen anfangs mit einander solidarisiert. Auf dem Kontinent wurde von einem „Völkerfrühling“ gesprochen. Im Verlauf der Revolution traten aber immer mehr Brüche hervor. So waren in der deutschen Nationalversammlung auch antisemitische und kulturchauvinistische (v.a. gegenüber der polnischen Bewegung) Töne zu vernehmen. Auch die ungarische Verfassung, welche kurzzeitig in Kraft getreten war, diskriminierte Rumän:innen, Slowak:innen sowie die Südslaw:innen gegenüber den ethnischen Ungar:innen (Magyar:innen) deutlich. Die Idee des Nationalstaates bewirkte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts auch eine zunehmende Abgrenzung der Europäer:innen von einander und resultierte letztlich in „einen Alptraum der Nationalitäten“ (Langewiesche/Hachtmann). Die Idee von der einheitlichen Nation führte zu einem behaupteten „Wir“ und zum Ausschluss der vermeintlich Nichtdazugehörenden.