Freie Wahlen

Freies, gleiches und geheimes Wahlrecht war eine Kernforderung der europäischen Revolutionär:innen von 1848/49. Die Ausgangslage war in den Staaten Europas grundverschieden. Frauen waren aber durchweg von Wahlen ausgeschlossen.


In Großbritannien und Frankreich sahen die Verfassungen ein Männerwahlrecht vor, welches an Vermögen bzw. Steueraufkommen geknüpft war. In Frankreich konnten um 1848 weniger als 200.000 Männer wählen. In Großbritannien hatte 1832 eine Reform immerhin jedem fünften Mann in England und Wales das Wahlrecht zum Unterhaus ermöglicht, in Schottland nur jedem achten. Bis 1848 formierte sich auf den Britischen Inseln daher die sogenannte Chartisten-Bewegung, welche sich für eine deutliche Ausweitung des Wahlrechts einsetzte. Wählen können sollten auch weniger wohlhabende Menschen. Die Chartist:innen blieben jedoch erfolglos und nennenswerte Ausweitungen des Wahlrechts im Vereinigten Königreich erfolgten erst zwei Jahrzehnte später.

Ganz anders war die Situation beispielsweise im Königreich Dänemark. Hier hatte seit dem 17. Jahrhundert eine besonders extreme Form des Absolutismus jede parlamentarische Repräsentation ausgeschlossen. Die 1848er Bewegung sorgte in Dänemark für ein Aufflammen einer modernen Nationalstaatsidee. Der dänische Gesamtstaat sollte, neben dem Kernland und den Kolonien, auch die Herzogtümer Schleswig und Holstein umfassen. Gleichzeitig sollte dieser Staat von einer absoluten zu einer konstitutionellen Monarchie umgewandelt werden. 1849 wurde letztlich eine neue Verfassung (dän. Grundlov) verabschiedet, welche den König von der direkten politischen Macht entband und ein Zweikammerparlament etablierte. Dieses „Grundgesetz“ sah für 15% der männlichen Bevölkerung Dänemarks das Wahlrecht vor.

Besonders divers war es um das Wahlrecht in den Staaten des Deutschen Bundes bestellt. Nach dem Sieg über Frankreich 1815 waren hier alte Privilegien wiederhergestellt worden. In den 39 Bundesstaaten gab es Landtage mit zwei Kammern, die aus Mitgliedern des Adels, der Kirche, und Vertretern der Städte bestanden. Auch Wohlhabende und Gebildete, die das Bürgerrecht besaßen, wurden in die Landtage gewählt. Die Landtage, die als Volksvertretung fungieren sollten, konnten aber jederzeit aufgelöst und ihre Gesetze zurückgezogen werden. Deshalb stand während der Revolution auch im Deutschen Bund das Wahlrecht im Mittelpunkt der politischen Forderungen. Die Macht sollte in Zukunft bei der Bevölkerung liegen. Das erste – allerdings nur von Männern – frei gewählte gesamtdeutsche Parlament, die Frankfurter Nationalversammlung, beschloss 1849 eine Verfassung. Sie sah das allgemeine Wahlrecht und Grundrechte für alle Bürger vor. Das Frauenwahlrecht war im Verfassungsentwurf nicht aufgenommen worden. Das Wahlrecht wurde an Besitz gebunden. Hausbesitz und Einkommen bestimmten, wer wählen durfte und wie viel die Stimme zählte. Die gesamtdeutsche Verfassung und deren Wahlrecht trat jedoch nie in Kraft. Vor allem die den Deutschen Bund dominierenden Großmächte Preußen und Österreich lehnten sie ab. Viele Bundesstaaten, darunter das einflussreiche Preußen, besaßen nach Niederschlagung der Revolution 1848/49 ein Dreiklassenwahlrecht. Dies bedeutete, dass trotz sehr unterschiedlicher Anteile an der Gesamtbevölkerung die drei Einkommensklassen den gleichen Einfluss auf die Besetzung der Parlamente hatten.

Deutschland stand mit seinem exklusiven Wahlrecht global gesehen nicht allein da. Auch in den USA hatten bei den Präsidentschaftswahlen nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung das Wahlrecht, weil Frauen, versklavte Menschen und die indigene Bevölkerung ausgeschlossen waren. Selbst weite Teile der revolutionären Bewegung wollten daran nichts ändern. Der Ruf nach dem Frauenwahlrecht war nur vereinzelt zu hören. Männer machten sich viel eher darüber lustig. Als erste Frauen überhaupt durften 1893 die Neuseeländerinnen wählen. Es folgten die Frauen in Australien (1902), wo aber Indigene bis 1962 ausgeschlossen blieben. In Europa wählten als erste die Frauen in Finnland (1906) und zuletzt die Frauen in der Schweiz (1971), in Portugal (1974) und in Liechtenstein (1984). In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht 1919 eingeführt. 1920 durften auch die US-Amerikanerinnen wählen.