Europäische Jahrestagung 2023

Die Revolution von 1848/49 europäisch denken. Erforschen, Erinnern und Vermitteln eines gemeinsamen demokratiegeschichtlichen Kapitels

Europäische Jahrestagung des Jubiläumsnetzwerkes für 175 Jahre Revolution 1848/49 – 16./17. März 2023, Humboldt Forum Berlin

Die Tagung wurde vom Ausstellungs- und Gedenkort Friedhof der Märzgefallenen in Kooperation mit der Bundesarchiv-Erinnerungsstätte Rastatt sowie dem Historischen Museum Frankfurt organisiert. Das Programm sowie Impulsvorträge stehen Ihnen hier jederzeit zur Verfügung.

(c) Paul Singer e.V. / Visionary

Sektion 1 – Der Platz der Revolution 1848/49 in der europäischen historisch-politischen Bildungsarbeit

Sektion 2 – Revolution oder Revolutionen? Transnationale Revolutionsgeschichte
Sektion 3 – Über Grenzen hinweg. Europäischer Aktivismus vom Vormärz bis zur Revolution 1848/49
Sektion 4 – Städtische Milieus und ihre Bedeutung in der europäischen Revolution

Neue Märzforderungen

Der Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach fordert eine Erweiterung der Grundrechte um sechs Artikel. Sie seien angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erforderlich, um ein menschenwürdiges Zusammenleben zu garantieren.

Wir stellen diese sechs Artikel hier zur Diskussion:

  • Umwelt: Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.
  • Digitale Selbstbestimmung: Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.
  • Künstliche Intelligenz: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.
  • Wahrheit: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.
  • Globalisierung: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.
  • Grundrechtsklage: Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

Mehr Informationen findet ihr auf https://www.jeder-mensch.eu.

Soziale Gerechtigkeit

Marx (holding newspaper) and Engels (next to him) at work for the Neue Rheinische Zeitung, anonymous oil painting, 1849.

Am Vorabend der Revolution von 1848 waren die sozialen Verhältnisse in Europas stark angespannt. Verschiedene Extreme, Ungleichheit und Naturkatastrophen trafen aufeinander und sorgten für jene soziale Explosivität, welche sich ab dem Frühjahr 1848 in ganz Europa entladen sollte. Sie speiste sich aus einem höchst ambivalenten Gemisch. Einerseits bestand dieses aus sozialer Not, Hunger, Seuchen sowie prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen. Andererseits verzeichneten viele Länder Europas seit den 1830er Jahren durchaus positive ökonomische Entwicklungen. Die dem Revolutionsjahr vorausgegangene relative Friedenszeit sowie die Verbreitung moderner Industrie- und Landwirtschaftsproduktion hatten diese begünstigt. Was aber machte die soziale Ungerechtigkeit um 1848 konkret aus?

Allgemein waren die Lebensverhältnisse der Menschen sehr unterschiedlich, woran auch der wirtschaftliche Fortschritt dieser Zeit nichts ändern konnte. Vor allem in Großbritannien, Frankreich, Preußen, Sachsen sowie den Regionen Böhmen und Norditalien entstanden zahlreiche moderne Fabriken. Sie verschafften der wachsenden Gruppe des Bürger:innentums große Gewinne, vermehrten ihren Wohlstand sowie ihr gesellschaftliches Selbstbewusstsein. Gegenüber Adel und Monarchie waren sie zunehmend bereit, politische Freiheiten sowie Mitbestimmungsrechte einzufordern. In den Fabriken arbeitete aber auch eine neue soziale Gruppe: die Arbeiter:innen. Ohne gesetzlichen Arbeitsschutz oder Tarifverträge leisteten sie hier lange Schichten zu geringen Löhnen. Auch Kinderarbeit war dabei keine Seltenheit. Wurden bis dahin die allermeisten Produkte noch traditionell durch das Handwerk gefertigt, standen Handwerker:innen um 1848 den neuen, industriellen Produktionsmöglichkeiten ohnmächtig gegenüber. Konkurrenzunfähig geworden, verarmten ganze Berufszweige von ihnen.

In den 1840er Jahren suchten auch zahlreiche Missernten Europa heim. Ausbleibende Getreideernten und die Kartoffelfäule sorgten von Irland über die Staaten des Deutschen Bundes bis nach Osteuropa für bittere Hungersnöte. Gleichzeitig experimentierte man mit neuen Düngemethoden und dem Einsatz von Maschinen in der Landwirtschaft. Immer mehr Menschen vom Land suchten – nicht selten vergebens – ihr Glück in den wachsenden Städten und ihren Fabriken. Hier lebten sie zunehmend in überfüllten Stadtvierteln wie den Londoner Slums oder den Vororten von Wien. Enge, miserable hygienische Umstände und noch keine moderne Wasserversorgung begünstigten vor allem hier die Ausbreitung von Pandemien wie der Cholera oder Tuberkulose, welche die Medizin erst zum Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich bekämpfen können sollte.

Von Seiten des Staates war kaum Hilfe zu erwarten. Armut galt als natürliche Gegebenheit oder individuelles Verschulden. Die öffentliche Armenfürsorge bestand meist lediglich aus kümmerlichen Almosen. Die Schriftstellerin Bettina von Arnim sammelte in den Jahren vor der Revolution beispielsweise unzählige Daten über die prekäre Lebenslage von Menschen, die ohne eigenes Verschulden in Armut lebten. Die Ergebnisse veröffentlichte sie in einem Buch, das sie dem preußischen König widmete, damit er Abhilfe schaffe. Die Philosophen und Theoretiker Karl Marx und Friedrich Engels veröffentlichten in London noch im Februar 1848 das „Kommunistische Manifest“ als weltweiten Aufruf zur Selbstbefreiung der Arbeiter:innen von Unterdrückung und Ausbeutung.

„Der Staat versorgt die Hilflosen“ war 1848 eine drängende soziale Forderung, eine verzweifelte Reaktion auf die Armut in den unteren Bevölkerungsgruppen. Gesetzliche Krankenkassen, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen gab es noch nicht. In den europäischen Staaten wurde gefordert, dass Arbeitgeber:innen stärker in die Verantwortung genommen werden und Regierungen die soziale Not in ihren Ländern effektiv bekämpfen und für angemessene Arbeitsverhältnisse sorgen sollten. Ein Recht auf Arbeit wurde vor allem in der Revolution in Frankreich vehement eingefordert.

Recht auf Arbeit

„Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben“ heißt es in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Mit ihrer Forderung nach „Recht auf Arbeit“ meinten Menschen 1848 allerdings etwas anderes:

“Dass der Staat jedem, der arbeiten will, eine seinen Kräften angemessene Arbeit und menschlichen Bedürfnissen angemessenen Lohn verbürge“ – lautet die Forderung in der „Deutschen Volkstafel“ von Carl Nauwerck im April 1848. Das Massenelend in den Vorstädten und auf dem Land hatte in den Jahren zuvor zu Hungerrevolten geführt. Arbeitslose konnten von der Armenfürsorge kaum leben, und die Entwertung traditioneller Handwerksberufe durch die Industrialisierung führte mancherorts zu Maschinenstürmerei.

In Frankreich kam während der Revolution 1848 die Forderung eines Rechts auf Arbeit auf. Der Staat sollte demnach dafür sorgen, dass Menschen nicht nur einen Arbeitsplatz hätten, sondern auch für sich selbst sorgen können sollten. In Paris entstanden in diesem Sinne die sogenannten Nationalwerkstätten. Sie brachten Arbeit und damit Lohn für bislang arbeitslose Menschen.

Auch in den Staaten des Deutschen Bundes gab es ähnliche Überlegungen. Die Forderung nach „Pflicht und Recht zur lohnenden Arbeit“ wurde dabei stark von den Maßnahmen in Frankreich beeinflusst. Sie hat – wie andere Märzforderungen auch – Eingang in spätere Verfassungen gefunden. Heute besitzen Bürger:innen in Portugal und in den Niederlanden sowie Bewohner:innen einiger deutscher Bundesländer ein Recht auf Arbeit. Es ist allerdings kein subjektiv einklagbares Recht, sondern versteht sich als Auftrag an den Gesetzgeber, ein Recht auf Arbeit zu realisieren. Auch in die DDR-Verfassung wurde das Recht auf Arbeit aufgenommen (Artikel 24). Dort war es jedoch praktisch entwertet, weil es keine uneingeschränkt freie Berufswahl gab und Arbeitsverweigerung bestraft wurde.

Nationalstaat

In Zeiten übernationaler Zusammenschlüsse wie der Europäischen Union, glauben viele an ein absehbares Ende der Nationalstaaten. Millionen von Menschen fühlen sich längst in einem Europa ohne Grenzen zuhause. Im 19. Jahrhundert wurde der Nationalstaat aber von vielen Menschen in Europa erst noch erstrebt. Er galt als Gegenstück der feudalen Fürstenstaaten vorangegangener Jahrhunderte, sollte der Nationalstaat schließlich per Verfassung Grund- und Freiheitsrechte der Bürger:innen gegenüber den Herrschenden garantieren.

Die ersten Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts – beispielsweise Frankreich und Großbritannien – zeichneten sich durch relative sprachliche, ethnische und kulturelle Homogenität, eine Verfassung sowie zentrale politische Institutionen aus. Eine solche Nationalstaatsidee wurde aber auch von anderen erstrebt und im 19. Jahrhundert mitunter hart erkämpft. So löste sich 1830 Belgien von den Niederlanden los und im selben Jahr endete auch der Unabhängigkeitskampf Griechenlands vom Osmanischen Reich. 1848 träumten aber immer noch viele Menschen von eigenen Nationalstaaten: Italien, Polen, Ungarn, Rumänien, Deutschland oder auch ein tschechischer Nationalstaat waren beispielsweise noch immer bloße politische Wunschvorstellungen. Beflügelt von der erfolgreichen Revolution, die in Frankreich im Februar 1848 stattgefunden hatte, wurden nun überall in Europa Forderungen nach nationaler Eigenständigkeit lauter. Die Ausgangslage der einzelnen nationalstaatlichen Bewegungen war jedoch grundverschieden.

Rangen in der multiethnischen Habsburgermonarchie Tschech:innen, Ungar:innen, Kroat:innen, Slowak:innen, Pol:innen, Ruthen:innen (Ukrainer:innen), Rumän:innen und Italiener:innen mitunter auch zunächst erfolgreich für mehr Autonomie vom Vielvölkerreich, so war die Lage für ein unabhängiges Polen bedeutend schwieriger. Pol:innen lebten sowohl im von den Habsburgern regierten Kaisertum Österreich als auch im Russischen Zarenreich sowie in Preußen. Diese räumliche Trennung sowie das entschiedene Vorgehen der drei Großmächte erschwerte den Kampf für die Wiederherstellung des polnischen Staates, welcher ein halbes Jahrhundert zuvor aufgeteilt worden war.

Etwas anders war es um die Nationalstaatsidee Italiens bestellt. Neben den nördlichen Gebieten, welche zur Habsburgermonarchie gehörten, war der Rest Italiens in mehrere Staaten zersplittert. Die italienischen Fürsten und der Papst hatten unterschiedliche Haltungen zur Idee eines geeinten Italiens, befürchteten sie dadurch immer auch den Verlust ihrer eignen Macht. Ähnlich wie die Habsburger in Venetien und der Lombardei, gingen auch sie eher gegen die Einigungsbewegung vor als sie zu unterstützen. Auch Papst Pius IX., der sich mit seinen relativ liberalen Reformen seit 1846 zu einer Symbolfigur der italienischen Einigungsbewegung geworden war, wendete sich 1848 zunehmend von der Revolution und dem Einheitsgedanken ab.

Auch die Deutschen waren auf zahlreiche kleinere und größere Staaten verteilt, welche nur relativ locker im Deutschen Bund zusammengeschlossen waren. Deutschland bzw. ein Nationalstaat mit Verfassung war dieser Bund noch nicht und jede Tendenz dazu wurde von den beiden Großmächten im Bund, Preußen und Österreich, bis dahin unterdrückt. Im Frühjahr 1848 war diese Situation jedoch unhaltbar geworden. Zu groß war der Wunsch nach einem geeinten deutschen Staat, der durch die Ereignisse in den europäischen Nachbarstaaten nur noch bestärkt wurde. Die deutschen Fürsten lenkten deshalb zunächst ein und duldeten, dass in Frankfurt am Main sogar eine Nationalversammlung zusammentreten konnte, um eine gesamtdeutsche Verfassung zu erarbeiten. Die Verwirklichung der Idee eines Nationalstaates schien hier auf parlamentarischem Weg zum Greifen nah. Dennoch scheiterte sie 1849 am Widerstand der Fürsten, welche die Verfassung schlussendlich nicht umzusetzen bereit waren. Allen voran lehnte es der preußische König ab, die deutsche Kaiserwürde von einer Volksvertretung verliehen zu bekommen.

Den anfänglichen Erfolgen der revolutionären Bewegungen zum Trotz, gelang es bis 1849 an kaum einem Brandherd dieser europäischen Revolution langfristig einen neuen Nationalstaat zu etablieren. Im Deutschen Bund wurde die Nationalversammlung aufgelöst und der Widerstand dagegen vom preußischen Militär erstickt. Auch in der Habsburgermonarchie setzte sich letztlich das kaiserliche Militär durch, was auch durch die zunehmend widerstrebenden Ziele der einzelnen Nationalitäten begünstigt wurde.

Hier zeigt sich auch die Schattenseite der nationalstaatlichen Forderung der Revolution von 1848/49. Europaweit hatten sich die nationalen Einigungs- und Unabhängigkeitsbewegungen anfangs mit einander solidarisiert. Auf dem Kontinent wurde von einem „Völkerfrühling“ gesprochen. Im Verlauf der Revolution traten aber immer mehr Brüche hervor. So waren in der deutschen Nationalversammlung auch antisemitische und kulturchauvinistische (v.a. gegenüber der polnischen Bewegung) Töne zu vernehmen. Auch die ungarische Verfassung, welche kurzzeitig in Kraft getreten war, diskriminierte Rumän:innen, Slowak:innen sowie die Südslaw:innen gegenüber den ethnischen Ungar:innen (Magyar:innen) deutlich. Die Idee des Nationalstaates bewirkte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts auch eine zunehmende Abgrenzung der Europäer:innen von einander und resultierte letztlich in „einen Alptraum der Nationalitäten“ (Langewiesche/Hachtmann). Die Idee von der einheitlichen Nation führte zu einem behaupteten „Wir“ und zum Ausschluss der vermeintlich Nichtdazugehörenden.

Militärreform

Macht hat der, der das Militär hinter sich hat. Dieser Grundsatz galt lange in Europa. In den deutschen Fürstentümern und Bundesstaaten unterstand das Militär 1848 mit Ausnahme von Hansestädten wie Hamburg oder Bremen den Landesherren. Sie hatten damit ein unkontrolliertes Gewaltmonopol. In anderen Ländern war das anders.  Nach der britischen Bill of Rights von 1689 war das Tragen von Waffen ein Bürgerrecht. Die US-amerikanische Bill of Rights von 1789 knüpfte daran an. „The right of the people to keep and bear arms” gilt in den USA bis heute, auch wenn das Recht hoch umstritten ist. Auch in Deutschland gab es ab 1813 erste Ansätze einer Volksbewaffnung. Sie etablierten sich im Zuge des Kampfes gegen Napoleon.

Um das Gewaltmonopol der Fürsten zu brechen, gehörte die „Volksbewaffnung“ zu den Forderungen der Revolutionär:innen von 1848. Bei den Barrikadenkämpfen in Berlin und Wien traten die Bevölkerungen noch vereint gegen königliche und kaiserliche Truppen auf.  Die Einheit zerbrach jedoch schnell. Aus den Reihen des Bürger:innentums wurden sogenannte „Bürgerwehren“ gebildet, die die innere Ordnung aufrechterhalten sollten. Teilweise ließen sie sich aber von der alten Obrigkeit vereinnahmen, indem sie Entschiedenheit gegen alle zeigten, die die Revolution mit Waffengewalt vorantreiben wollten. Sie fühlten sich als Garanten eines auf Ausgleich ausgerichteten Veränderungsprozesses. Arbeiter:innen und Handwerksgesellen, die auf den Barrikaden gekämpft hatten, waren in diesen Bürgerwehren nicht zugelassen. In Berlin und Paris traten die gegensätzlichen politischen Strategien im Juni 1848 offen zutage. Eine „Volksbewaffnung“ erfolgte im Zuge der Revolution in weiten Teilen des Deutschen Bundes nicht. Das machte es der Konterrevolution leicht, gegen die Revolution vorzugehen. Preußische Truppen schlugen 1849 die badischen Demokraten und stellten damit die alte Machtordnung wieder her. Im Berliner Stadtviertel Wilmersdorf sind immer noch mehrere Straßen nach den preußischen „Siegen“ in Baden benannt.

Neben der „Volksbewaffnung“ sollte das Militär von innen reformiert und demokratisiert werden. Soldaten sollten die Offiziere wählen dürfen. Die Forderung ist allerdings nie realisiert worden (außer bei der „Volksmarinedivision“, die nach der Novemberrevolution 1918 in Berlin von Marinesoldaten zum Schutz der jungen Republik gegründet wurde).

Heute wird die Bundeswehr vom Bundestag kontrolliert und erhält ihre Einsatzmandate vom Parlament. Die Soldat:innen werden auf die Verfassung vereidigt. Die Bundeswehr ist damit eine Parlamentsarmee. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht gibt es in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern der Welt – de facto eine Berufsarmee.

Gleichheit vor dem Gesetz

Mit der Forderung, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden sollen, betraten die Revolutionär:innen 1848/49 kein unbekanntes Terrain. Die Forderung nach rechtlicher Gleichheit aller Bürger war in den Revolutionen in den USA (1776) und Frankreich (1789) ein zentrales politisches Anliegen. Davon ausgeschlossen waren Frauen, versklavte Menschen und Ureinwohner:innen, obwohl sie weit mehr als die Hälfte aller erwachsenen Bevölkerung darstellten. Im Verlauf der Französischen Revolution kam auch bereits die Forderung nach der Abschaffung der Sklaverei auf. Endgültig kam es dazu in den französischen Kolonien aber erst nach der Pariser Februarrevolution 1848.

Auch im Deutschen Bund forderten Abgeordnete der Nationalversammlung mehr rechtliche Gleichheit der Menschen. Jakob Grimm, einer der beiden Brüder Grimm, fand im Paulskirchenparlament keine Mehrheit mit seinem Antrag „Alle Deutschen sind frei, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.“ Diesen Antrag hatte er vor dem Hintergrund der Sklaverei in Amerika formuliert.

Was die Gleichheit vor dem Gesetz betraf, sollten einzelne Stände wie der Adel oder der Klerus keine Sonderrechte und Privilegien mehr für sich in Anspruch nehmen dürfen. Um diese Forderung durchzusetzen, kam es immer wieder zu Unruhen. In Südwestdeutschland zum Beispiel stürmten und brandschatzten Bauern 1848 fürstliche Ämter. Mit Erfolg: Die Fürsten verzichteten auf Frondienste und Sonderrechte. Engagierte Frauen hingegen, die 1848 die Gleichstellung der Geschlechter vor dem Gesetz forderten, fanden wenig Gehör.

Die Forderung nach Gleichheit sollte auch auf die Gleichstellung von Menschen aller religiösen Bekenntnisse bedeuten. Die in der Frankfurter Paulskirche beschlossenen Grundrechte sicherten Jüdinnen:Juden erstmals die volle Rechtsgleichheit zu. Da jedoch einige Länder des Deutschen Bundes die Grundrechte nicht anerkannten, blieben Jüdinnen:Juden z.B. in Preußen noch vom Dienst in der Justiz, Polizei und der Schule weiter ausgeschlossen. Im Fürstentum Lippe war ihnen sogar die Mitgliedschaft in einigen Zünften untersagt.

Auch bei der Wehrpflicht sollte Gleichheit hergestellt werden. Bis dahin konnten sich Wohlhabende von ihr „freikaufen“. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurde nur von den sogenannten „Friedenskirchen“ (Quäkern und Mennoniten) eingefordert. Erst 1987 erkannte die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als allgemeines Menschenrecht an. Von vielen Mitgliedsstaaten wird das Recht bis heute nicht respektiert.

Was die Einlösung der Forderung nach Gleichheit für alle ohne Einschränkungen betrifft, so wird eine solche Gleichheit erst in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und im deutschen Grundgesetz von 1949 garantiert. In vielen Teilen der Welt ist sie nicht durchgesetzt.

Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit

Seit den Glaubenskriegen im 17. Jahrhundert galt der Grundsatz, dass Bewohner:innen einer Region der Religion der vor Ort Herrschenden angehören sollten. Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat waren deshalb zentrale Anliegen vieler Menschen, die sich in der Revolution 1848/49 engagierten. Dass der Staat sich aus Religionsangelegenheiten herauszuhalten habe, war aber keine neue Forderung. Schon zwei Jahrhunderte zuvor hatte der englische Aufklärer John Milton (1608 – 1674) eine solche Trennung gefordert. Auch die amerikanische Bill of Rights und die französische Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte (1789) garantierten die volle Religionsfreiheit.

Durch die Eroberungskriege Napoleons, wodurch Teile der deutschen Gebiete Frankreich unterstellt wurden, galt die Religionsfreiheit auch dort. Mit den Emanzipationsedikten, etwa in Preußen 1812, begann schrittweise die Integration von Jüdinnen:Juden in Staat und Gesellschaft. Begleitet wurde sie aber auch von antisemitischen Krawallen und Berufsverboten. Die vieldiskutierte Jüdische Emanzipation fand so oftmals unter dem Druck einer Assimilierung statt.  1848/49 war die Gleichberechtigung und Emanzipation von Jüdinnen:Juden in den Staaten des Deutschen Bundes auch eine Forderung, welche in der Frankfurter Nationalversammlung beraten und verabschiedet wurde. Ihre Umsetzung lag aber in den Händen der Einzelstaaten, sodass es hier zu erheblichen Unterschieden kam. Erst im weiteren Verlauf erhielt die völlige Gleichberechtigung Gesetzeskraft, im Deutschen Bund 1862 zuerst in Baden. Andere Vorstöße zur Emanzipation, wie etwas durch das ungarische Parlament im Juli 1849, wurden nach dem Ende der Revolution wieder zurückgenommen. In der Habsburgermonarchie sollte erst mit den neuen Verfassungen von 1867 eine umfassende Emanzipation der Jüdinnen:Juden erreicht werden.

In vielen Regionen Europas existierte nach 1849 die Einheit von „Thron und Altar“ weiter.  So hatte Religion weiterhin einen großen Einfluss auf die Schulen, auf das Militär, auf die Universitäten und auf die Staatsverwaltung. Gleichzeitig wurde der Einfluss der Religion auf anderen Gebieten zurückgedrängt. Dies war nicht zuletzt der Industrialisierung geschuldet, welche massive Wanderungsbewegungen ausgelöst und die traditionellen Abhängigkeitsverhältnisse, etwa auf dem Lande, schrittweise verdrängt hatte.

Freizügigkeit

Um 1848 war die Reisefreiheit noch durch eine strenge Visapolitik eingeschränkt, die heute unvorstellbar erscheint. Eine Reise zwischen Paris und Mailand oder zwischen Kopenhagen und Warschau war nicht ohne Weiteres möglich. Es bedurfte amtlicher Reisedokumente und nicht selten mussten die Gründe für die Reise offengelegt werden. Nicht einmal zwischen den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes konnten Menschen ohne Beschränkungen hin- und herreisen. Gleiche Rechte und freie Wohnsitzwahl für alle Deutsche in allen deutschen Ländern war deshalb 1848/49 eine wichtige Forderung. Sie wurde von einem breiten Teil der Bevölkerung getragen.

Auch wurde ein Auswanderungsrecht im Frankfurter Grundrechtekatalog von 1848 garantiert. Paradoxerweise wurde dieses Recht auf Auswanderung für einige, die es gefordert hatten, nach dem Scheitern der Revolution zur Pflicht: Revolutionäre, die etwa in Baden im Gefängnis saßen, konnten auf Antrag ihrer Angehörigen „zur Auswanderung“ begnadigt werden – wenn die Angehörigen die Kosten dafür übernahmen. Auf diese Weise entstanden in der Schweiz, in den USA und in Australien Gemeinschaften deutscher 1848er, die sich fortan dort in Teilen für Freiheit und Demokratie engagierten.

Erst 1867 erfolgte eine Liberalisierung der Passgesetze in Europa, so dass bis zum Ersten Weltkrieg – Russland und die Türkei ausgenommen – relative Reisefreiheit herrschte.

Freie Wahlen

Freies, gleiches und geheimes Wahlrecht war eine Kernforderung der europäischen Revolutionär:innen von 1848/49. Die Ausgangslage war in den Staaten Europas grundverschieden. Frauen waren aber durchweg von Wahlen ausgeschlossen. In Großbritannien und Frankreich sahen die Verfassungen ein Männerwahlrecht vor, welches an Vermögen bzw. Steueraufkommen geknüpft war. In Frankreich konnten um 1848 weniger als 200.000 Männer wählen. In Großbritannien hatte 1832 eine Reform immerhin jedem fünften Mann in England und Wales das Wahlrecht zum Unterhaus ermöglicht, in Schottland nur jedem achten. Bis 1848 formierte sich auf den Britischen Inseln daher die sogenannte Chartisten-Bewegung, welche sich für eine deutliche Ausweitung des Wahlrechts einsetzte. Wählen können sollten auch weniger wohlhabende Menschen. Die Chartist:innen blieben jedoch erfolglos und nennenswerte Ausweitungen des Wahlrechts im Vereinigten Königreich erfolgten erst zwei Jahrzehnte später.

Ganz anders war die Situation beispielsweise im Königreich Dänemark. Hier hatte seit dem 17. Jahrhundert eine besonders extreme Form des Absolutismus jede parlamentarische Repräsentation ausgeschlossen. Die 1848er Bewegung sorgte in Dänemark für ein Aufflammen einer modernen Nationalstaatsidee. Der dänische Gesamtstaat sollte, neben dem Kernland und den Kolonien, auch die Herzogtümer Schleswig und Holstein umfassen. Gleichzeitig sollte dieser Staat von einer absoluten zu einer konstitutionellen Monarchie umgewandelt werden. 1849 wurde letztlich eine neue Verfassung (dän. Grundlov) verabschiedet, welche den König von der direkten politischen Macht entband und ein Zweikammerparlament etablierte. Dieses „Grundgesetz“ sah für 15% der männlichen Bevölkerung Dänemarks das Wahlrecht vor.

Besonders divers war es um das Wahlrecht in den Staaten des Deutschen Bundes bestellt. Nach dem Sieg über Frankreich 1815 waren hier alte Privilegien wiederhergestellt worden. In den 39 Bundesstaaten gab es Landtage mit zwei Kammern, die aus Mitgliedern des Adels, der Kirche, und Vertretern der Städte bestanden. Auch Wohlhabende und Gebildete, die das Bürgerrecht besaßen, wurden in die Landtage gewählt. Die Landtage, die als Volksvertretung fungieren sollten, konnten aber jederzeit aufgelöst und ihre Gesetze zurückgezogen werden. Deshalb stand während der Revolution auch im Deutschen Bund das Wahlrecht im Mittelpunkt der politischen Forderungen. Die Macht sollte in Zukunft bei der Bevölkerung liegen. Das erste – allerdings nur von Männern – frei gewählte gesamtdeutsche Parlament, die Frankfurter Nationalversammlung, beschloss 1849 eine Verfassung. Sie sah das allgemeine Wahlrecht und Grundrechte für alle Bürger vor. Das Frauenwahlrecht war im Verfassungsentwurf nicht aufgenommen worden. Das Wahlrecht wurde an Besitz gebunden. Hausbesitz und Einkommen bestimmten, wer wählen durfte und wie viel die Stimme zählte. Die gesamtdeutsche Verfassung und deren Wahlrecht trat jedoch nie in Kraft. Vor allem die den Deutschen Bund dominierenden Großmächte Preußen und Österreich lehnten sie ab. Viele Bundesstaaten, darunter das einflussreiche Preußen, besaßen nach Niederschlagung der Revolution 1848/49 ein Dreiklassenwahlrecht. Dies bedeutete, dass trotz sehr unterschiedlicher Anteile an der Gesamtbevölkerung die drei Einkommensklassen den gleichen Einfluss auf die Besetzung der Parlamente hatten.

Deutschland stand mit seinem exklusiven Wahlrecht global gesehen nicht allein da. Auch in den USA hatten bei den Präsidentschaftswahlen nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung das Wahlrecht, weil Frauen, versklavte Menschen und die indigene Bevölkerung ausgeschlossen waren. Selbst weite Teile der revolutionären Bewegung wollten daran nichts ändern. Der Ruf nach dem Frauenwahlrecht war nur vereinzelt zu hören. Männer machten sich viel eher darüber lustig. Als erste Frauen überhaupt durften 1893 die Neuseeländerinnen wählen. Es folgten die Frauen in Australien (1902), wo aber Indigene bis 1962 ausgeschlossen blieben. In Europa wählten als erste die Frauen in Finnland (1906) und zuletzt die Frauen in der Schweiz (1971), in Portugal (1974) und in Liechtenstein (1984). In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht 1919 eingeführt. 1920 durften auch die US-Amerikanerinnen wählen.

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